Es reicht! Die Kinder in Fußballdeutschland haben ein Recht auf Entwicklung 

Fast täglich erscheinen aus dem Profifußball reißerische Zitate zu den Wettbewerbsformen im Kinderfußball. „Experten“ erlauben sich Urteile und Bewertungen ohne fundiertes Hintergrundwissen und am Ende stehen Zitate, die unreflektiert weitergetragen werden und dem Nachwuchsfussball in Deutschland einen Bärendienst erweisen.

 Im WDR-Podcast "Einfach Fußball" sprach Sven Pistor jüngst Steffen Baumgart wie folgt an: „Diese Idee in dem Bambinibereich. G, F, und dann E, die wirklich Jungen, zu sagen Ergebnisse interessieren uns nicht, Tabellen interessieren uns nicht … Findest du das ist eine gute Idee, ist ein Versuch wert oder hälst du davon nichts?“  „Gar nichts!“ erwiderte Baumgart sofort. Pistor wollte mehr und forderte ein Zitat. „Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen Weg geht. Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert. Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur, wenn ich zehn Tore schieße.“ Baumgart produzierte dieses Zitat, welches prompt zum viralen Hit wurde.
Pistor und Baumgart disqualifizierten sich mit diesem Gespräch so dermaßen in Ihren Kernkompetenzen, dass es schlicht schockierend ist. Ein Journalist stellt eine Frage zu einem richtungsweisenden Thema im deutschen Fußball, ohne auch nur die geringsten Kenntnisse der Sache zu habe und ein Sympathieträger des deutschen Fußballs produziert ein populistisches Zitat, ohne in seinem Kerngeschäft Fußball die Hintergründe zu kennen.
LEIDER funktioniert in Zeiten von Social Media so die Informationsgenerierung und Verbreitung. Artikel die Aufklärung leisten, sind leider unsexy und schaffen es nicht in die sozialen Medien.

So gelangen auch Zitate der Kroos Brüder, Toni und Felix, aus ihrem Podcast "Einfach mal Luppen" in den Umlauf. Toni Kroos mit scharfer Kritik an neuen DFB-Plänen zur Nachwuchsförderungwar nur eine Überschrift, welche völlig am Inhalt vorbei zielt, aber Klicks generiert. Ihre Podcast-Folge haben die beiden „Sackhüpfen beim DFB“ genannt. 

Na klar, DFB-Bashing generiert Klicks und neue Hörer.

Bevor die beiden das Thema besprechen, sagt Toni: „Ich hatte davon gehört, mich aber im Detail damit noch nicht beschäftigt. Allerdings habe ich das nachgeholt und glaube ich bin ganz gut informiert.“ Dass er das tatsächlich ist, zeigt er im weiteren Verlauf der Folge.
Er hat für seine Meinung eigene Argumente. Er zitiert sogar eine Aussage der DFB-Website: „In der G und F Jugend wird keine Meisterschaftsrunde ausgetragen.“  Das sind Kinder die höchstens 7 Jahre alt sind. Die Jungs diskutieren konstruktiv in der Sache. Felix findet die Spielformen und die damit verbundenen Ziele gut. Toni stimmt zu und führt ein Beispiel seines Sohnes (10 Jahre) an, in dem oft das Spiel im 7vs7 von den wenigen sehr guten Spielern gemacht wird. Er findet aber 2vs2 und 3vs3-Spiele sollten aber lieber im Training, als am Spieltag stattfinden. 
Es ist wichtig zu wissen, dass nicht von den Bambinis bis zum Ende der E-Jugend 6 Jahre Funino im 3vs3 gespielt werden MUSS. 

Über allem stehen die Trainingsziele für jedes Kind und für jede Position Freude, Intensität und Wiederholungen zu schaffen. 

Toni Kroos hängt sich zudem an dem Begriff „Spielenachmittage“ auf. Ihm fehlt die Bestätigung durch die Tabellen, auf die jeder Einzelne schauen kann. Das Angebot eines Spieltags in Festivalform bietet jedem die Chance auf viele Ballaktionen und viele Wiederholungen. Das Spiel soll an den Entwicklungsstand der Spieler angepasst werden. Hier liegt die entscheidende Aufgabe der Kindertrainer. Sie können und müssen sie die Entscheidung treffen, ob es Sinn macht in der U8/U9 (F-Jugend) auf Kleinfeldtore mit Höhenreduzierung zu spielen, ob 3vs3, 2vs2, oder 5vs5 sinnvoll für die Trainingsgruppe und jedes Kind ist. In der U10/U11 (E-Jugend) beginnt es erst ab 4vs4 und kann bis zum bekannten 7vs7 mit Torhüter auf Kleinfeldtore ausgebaut werden. 

Am Ende der Diskussion zwischen Toni und Felix Kroos ging es den beiden um die Einzelauszeichnungen, die sie selbst früher am meisten motiviert hätten. Wie z.B. der beste Torschütze oder der beste Spieler, der nicht mehr geehrt wird, weil keine Tore und Ergebnisse gezählt werden. Es ging bei den Brüdern selbst immer ums Gewinnen, denn das macht Spaß. Selbst wenn sie mal verloren haben wollten sie das nächste Mal gewinnen. Dadurch hätten Sie ihren Ehrgeiz entwickelt. Sie wollen, dass die Kinder auch mal mit Rückschlägen umgehen müssen und sich daran entwickeln. Alles vollkommen berechtigte Punkte bei der Entwicklung eines Nachwuchstalents.
Diese werden allerdings zu zu 100% in den Spielreform berücksichtigt. Ob an einem „Kinderspielfestival“ der Veranstalter einen besten Spieler ernennt oder nicht, das ist jedem selbst überlassen. Dazu gibt es keine Vorgaben. Es wird wohl einer aus der Mannschaft sein, die am Ende des Tages die meisten Spiele gewonnen hat, die meisten Tore geschossen hat und im Hammes-Modell auf dem Platz 1 aufgestiegen und dort verblieben ist. Ich bin mir sicher, dass die Kroos Brüder jedes Wochenende ihre Erfolgserlebnisse bekommen hätten und die Familienvitrine nicht weniger Pokale innehätte.

Genau wie bei Jamal Musiala. Hermann Gerland zitiert Jamal Musiala, der über seine Ausbildungszeit in England spricht. Dort durfte er dribbeln, auch mal den Ball verlieren und das Ergebnis am Wochenende war nicht das wichtigste. Der Rest ist jüngere Fußballgeschichte.

Wenn aber Thomas Helmer in einem Welt Interview vom geringen Wert des Sports in der Gesellschaft, der Trainerausbildung oder der Nachwuchsförderung, in 7:48 min, alles anreist und an jedem Thema Pauschalkritik übt, dann wird das der Bedeutung der Themen nicht gerecht. Ohne Zweifel sind Kritiken berechtigt und viele Inhalte reformbedürftig, aber ohne konkrete Lösungsideen oder Hintergrundinformationen empfiehlt sich Zurückhaltung.
Nachdem Helmer eingangs die Nachwuchsreform des DFB als „schon sehr grotesk“ bewertete und ihn „alles, was mittlerweile beim DFB so beschlossen und unternommen wird wundert“ lautete, nach einem Rundumschlag gegen vieles im Fußball, sein Tipp an die Kinder- und Jugendförderung: „Viel spielen, spielen lassen… Alles zulassen!“  „Wenn man Erfolg hat, ein Spiel gewinnt, vielleicht noch ein Tor schießt oder irgendwas Besonderes gemacht hat, das ist kaum zu ersetzen.“
Frei nach dem Sport1 Doppelpass bleibt die Frage: „Herr Helmer, kennen Sie die Inhalte der Wettbewerbsformen im Kinderfussball?“
Die Antwort ist einfach und eine eigene Einordnung wäre wünschenswert.
Didi Hamann seiner oberflächlichen Kritik möchte ich hier keine extra Plattform geben und das Ralf Rangnick eine bereits eingeführte Spielreform in seinem ÖFB kritisiert ohne zu wissen, dass diese schon längst existiert, ist bereits aus erzählt.

Es würde schon ausreichen wenn sie sich jeder knapp 3 Minuten Zeit nehmen würde und sich dieses Video ansieht.

Arsene Wenger sagte beim ITK 2022 in Freiburg „Im Alter zwischen 5 und 12 Jahren ist es besser keinen Trainer zu haben als einen schlechten.“ 

Er hat Recht! Ich war selbst mit 17 Jahren Bambinitrainer und meine Trainingserfahrungen stammten aus dem eigenen Training. Wenn ein Spielerpapa spontan Trainer wird, dann stammen seine letzten Erfahrungen aus dem Seniorentraining. Die Lebenswelt der Kinder und kindgerechter Fußball sieht aber anders aus. Das musste ich erst erleben, erfahren und erlernen. Auch bei mir waren sehr viele Vorurteile vorhanden, sie fußten auf Unkenntnis und einem zu kleinen Erfahrungshorizont. Ich hätte mir gewünscht, dass jemand wie Hermann Gerland am Rand steht und mir sagt, dass ich den Kindern einfach einen optimalen Raum zum Spielen erschaffen muss.

Kleine Spiele ermöglichen die Steuerung der Komplexität und ein systematisches Lernen.

Was aber tun, wenn es nicht einfach möglich ist jeden Trainerneueinsteiger zu qualifizieren? Es bleibt fast nur der Hebel das Spiel am Wochenende so anzupassen, dass sich das Training auch daran orientieren muss.
Beim 7vs7 gibt es feste Positionen, Gruppen- und Mannschaftstaktik und zwangsläufig versuchen Trainer und Eltern diese Hebel zu bewegen, um den Kindern ein Erfolgserlebnis zu ermöglichen. Ich hatte einen Torwart mit weitem Abschlag und einen schnellen Spieler mit gutem Schuss. Weil ich als junger Trainer nicht verlieren wollte war es klar, wie eine Spieltaktik aussah, oder?
Leider bleibt dabei die individuelle Entwicklung jedes einzelnen Kindes auf der Strecke.
Entscheidend für jedes Kind auf dem Fußballplatz muss die individuelle Entwicklung des Zusammenspiels von Wahrnehmung, Kommunikation, der darauf basierenden eigenen Entscheidung und der technischen Umsetzung auf dem Platz sein

Kleine Spielformen fördern diese Spielkompetenz in hohem Maße.

Wenn ein Urgestein der deutschen Nachwuchsförderung wie Hermann Gerland sich ein 7vs7-Spiel in Bochum anschaut und sich dabei fragt: „Wie schön wäre das jetzt gewesen, wenn sie da jetzt 3vs3 und da 3vs3 mit Torwart gespielt hätten und dann ein paar Mal tauschen. Das wäre ein optimales Training gewesen. […] Beim 7vs7 hat jeder vielleicht 20x den Ball und wenn die das anders gemacht hätten, hätte jeder vielleicht 200x den Ball berührt. […] je kleiner die Mannschaften, je mehr hat der einzelne Spieler vom Training“, dann sollte das eine enorme Bedeutung haben. 
Gerlands subjektive Annahmen zu den Ballaktionen wurden konkretisiert und hochgerechnet. Bei 30 Minuten Nettospielzeit im 3vs3 hat ein Kind ca. 200 Ballaktionen (Fußballentscheidungen), mit ca. 100 Zweikämpfen und ca. 25 Torschüssen. Im 7vs7 reduziert sich das auf ca. 50 Ballaktionen, 30 Zweikämpfe und 5 Torschüsse. In einem Fußballjahr mit 100 solcher Trainingseinheiten im 3vs3 wird den Kindern implizit der Aufbau eines Erfahrungsschatzes von 20.000 Ballaktionen, 10.000 Zweikämpfen und 2.500 Torschüssen ermöglicht. Diese Zahlen erreichen die Kinder bei 2-mal Vereinsfußball in der Woche und legen den Grundstein für die weitere Entwicklung im Jugendbereich.

Da in den jüngsten Altersgruppen in aller Regel einmal Training und einmal Spiel pro Woche ansteht ist es unerlässlich das Spiel so anzupassen, dass die Kinder viele Ballaktionen pro Woche erleben.
Jede Zusammenkunft in diesem Alter muss also optimal strukturiert sein.
Dafür hat das Kompetenzteam, um Hannes Wolf, schon vor Monaten „Die beste Trainingseinheit“ entwickelt. Und eine neue Trainingsphilosophie für den DFB veröffentlicht.

Die Trainingseinheit kann selbstverständlich in Varianten gespielt und trainiert werden. Die Spieleranzahl, das Feld und die Tore wachsen mit den Spielern. Dass dabei Fußball nicht neu erfunden werden muss zeigt „Die beste Trainingseinheit“ und deren Variationen. Hannes Wolf und Peter Hermann veranschaulichen und besprechen diese 20 Trainingsformen sehr unterhaltsam im YouTube-Format "Vom Trainerzimmer auf den Trainingsplatz".

Als Grundsatz sollte gelten, dass diese Einheit 2-mal pro Woche durchgeführt wird. Mit steigendem Niveau und mehr Trainingszeit, sollen und müssen auch die Spielkomponenten trainiert werden, die in diesen Formen weniger vorkommen können. 

Ich werde diesen Artikel fortlaufend aktualisieren und gebe nicht auf für das Thema zu werben. Warum? Weil ich davon zu überzeugt bin!

Für Anregungen und Kritik stehe ich jederzeit zur Verfügung.

Sportliche Grüße 
Kim

Stand: 25.08.23